Schreiben des Großmeisters Gaufrid von Donjon über die Lage des Hospitalordens im h. Lande (1201)
Quelle:
Schreiben des Großmeisters Gaufrid von Donjon über die Lage des Hospitalordens im h. Lande (1201); Karl Herquet; in: Wochenblatt der Johanniter-Ordens-Balley
Brandenburg; Berlin; 1882; Nr.48; S. 283
Lateinischer Text:
Cartulaire général de l'Ordre des Hospitaliers de S. Jean de Jérusalem (1100 - 1310) Vol. II; J. Delaville le Roulx; Paris; 1894 - 1906; Nr.1131; weitere Quelle siehe dort
Anmerkung: Die in Klammern gesetzten Textstellen sind 1:1 übernommen worden und sind Kommentare des Übersetzers (Karl Herquet)
Der Meister des Hospitals von Jerusalem an den Prior von England. Wie uns die Nachrichten zukommen so wünschen wir auch, sie den Herzen unserer Freunde einzuverleiben. In der traurigen Zeit des verflossenen Passagiums (es gab bekanntlich ein Frühlings- und ein Sommerpassagium, während im Herbst und Winter die Schiffahrt pausierte) sandten wir auch wie gewöhnlich Nachrichten über das h. Land, aber da das Schiff an der Küste von Tripolis vor Gibelet scheiterte, so sind der Bischof von Akkon (man kennt seinen Namen nicht) und mehrere hervorragende Ordensbrüder von uns, die in Sachen des h. Landes zu Euch reisen sollten, sowie viele adlige und unadlige Pilger zu unserem größten Schmerz und zum Leidwesen des ganzen christlichen Volkes nach Gottes Rathschluß in den tobenden Fluthen zu Grund gegangen. Nach diesem Unglück glaubten wir kein weiteres Fahrzeug absenden zu sollen, weil einige Schiffe mit Boten von uns, nachdem sie Akkon verlassen hatten, drei Tage und mehr auf dem aufgeregten Meere segelnd mit Verlust der Masten und Raaen nach Tripolis zurückkamen, nachdem sie vor dem Wüthen der Stürme und der Macht der Wogen kaum zusammengehalten hatten. Da wir jetzt nun eine günstige Schiffsgelegenheit gefunden haben, wollen wir Euch mittheilen, daß jener Todfeind der Christenheit, der Herr von Damaskus, Sephadin (es ist damit Saladins Bruder Kalif al-Adil Abu Bakr Saif Eddin gemeint), Herr von Babylon (Kairo Aegypten) geworden ist, nachdem er seinen Neffen (Kalif al Agis) und Andere, deren Successionsansprüche er fürchtete (darunter sind zwei andere Söhne Saladins gemeint) aus der Herrschaft über Babylon meineidig und gottlos herausgeworfen hat. Es besteht noch zwischen ihm und dem Sultan von Haled (Kalif al-Zaher, Sohn Saladins) und mehreren Anderen ein großer Zwist, dessen Ende noch nicht abzusehen ist, und der niemals aufhören möge (der Friede zwischen Beiden wurde im Jahre der Hedschra 598 = Oktober 1201 bis September 1202 geschlossen, worauf Saif-Eddin oder Al-Adil als alleiniger Herr von Aegypten anerkannt wurde). Dieser Sephadin ist den Seinigen aufs Aeußerste verhaßt, fürchtet von ihnen Nachstellungen, glaubt sich an seinem Orte sicher, da er seinen Neffen gegenüber sich als Verräther erwiesen hat, denen er ja auch täglich noch ihre Erbschaft gänzlich zu entreißen sucht, und wagt Babylon (Kairo) nicht zu verlassen. Diese Verhältnisse gewähren uns in diesem Jahre wenigstens etwas Schutz und Sicherheit. Denn eigentlich hatte dieser aufgeschwollene Mensch die Absicht, gegen uns loszugehen und die spärlichen Reste der Christenheit hier gänzlich zu vertilgen. Uebrigens hat auch die Zuchtruthe Gottes die Babylonischen Landschaften an jenem Flusse, der dem Paradiese entsprungen die Aecker unserer Feinde befruchtete, dadurch getroffen, daß er nicht überströmte, wie er auch im verflossenen Jahre nicht ausgetreten ist. Sie vergehen deshalb in Hunger und haben ihr Vieh eingebüßt. Der Vater scheute sich nicht den Sohn zu verkaufen, der Reiche den Armen, der Mächtige den Schwachen, damit sie nur ihr Leben fristen können, denn sie fürchten auch fest, daß der Fluß sehr wenig Wasser bringen werde. Jeder Vernünftige sieht aber ein, daß, wenn der Fluß auch in diesem Jahre nach dem Willen Gottes nicht austreten sollte und die Fluren von ihm nicht gewässert werden, die Einwohner in großer Noth um ihr Leben sein werden. Schon hat eine große Schaar derselben, von Hunger und Elend getrieben, unser Land wie ein Heuschreckenschwarm überfallen, um den nöthigen Lebensunterhalt zu finden. Einige wühlen die Ländereien der Kirche um (?), Andere leben nach Art der wilden Thiere von Waldkräutern, wieder Andere schweifen, von Hunger gepeinigt, in den Wäldern umher, indem in kaum glaublicher Weise sie Würmer und Vögel verzehren. (Diese schreckliche Hungersnoth, die in eben solchen Farben von den arabischen Chronisten geschildert wird, begann mit dem Ausbleiben des Nils im Sommer 1200. Da das Steigen des Nils im Juli beginnt und im September seinen Höhepunkt erreicht, so wissen wir, daß unser Schreiben nach dem Juli und vor dem September 1201 verfaßt wurde.) Wir aber halten zu Gott, daß er unsere Feinde vernichte. Schon hat er den Völkern Stoff zur Bewunderung gegeben, indem nämlich ein junger Sarazene von niedriger Herkunft, der von Jugend auf unter den Hirten gelebt hat, plötzlich vor Allen als ein so erfahrener Mann auftritt, daß Alle seine Weisheit bewundern. Er predigt öffentlich den Namen Jesu Christi mit solchem Erfolge, daß schon mehr als 2000 Ungläubige auf sein Zureden hin unseren Glauben angenommen haben, durch den Bund der h. Taufe wiedergeboren worden sind und es beklagen, sich der Beschneidung unterzogen zu haben. Aber unsere Feinde sind doch von lautem Jubel erfüllt, weil sie wissen, daß wir klein an Zahl und arm an Geld sind, auch merken sie, daß die waffenfähigen Pilger uns verlassen haben. Deshalb wenden wir uns flehentlich zu Euch und beschwören Euch, daß Ihr sowohl bei Hohen als Niedrigen durch Rath und That uns Hilfe schafft und den Herrn König von England (Johann ohne Land) und wem ihr sonst könnt, zu einer wirksamen Unterstützung veranlaßt. Wir leben nämlich in Furcht und Schrecken wegen der großen Reichthümer, die der Handel unseren Feinden giebt, und während sonst das Land der Verheißung sich vor einem Reiche, dem von Kairo oder dem von Damaskus zu fürchten hatte, sind jetzt diese beiden Reiche unter einem Herrn vereint, was uns bei unserer geringen Anzahl nur große Furcht einflößen kann. Das ist der wahre Stand der Dinge im Lande der Verheißung und bei unseren Feinden. Unter solchen Verhältnissen können wir nur dann die Christus und seinen Anhängern zugefügte Schmach rächen, wenn wir auf eine ausgiebige Hilfe der Christenwelt rechnen können. Aus diesen wenigen Worten mögt Ihr, verehrenswürdiger Ordensbruder, entnehmen, was uns alles noth that, hört jetzt auch, was noch außerdem uns Schmerz verursacht. Das Königreich Sizilien wird jetzt von den Deutschen und Lombarden schrecklich verwüstet (nach dem Tode Kaiser Heinrich VI. war dort ein grauenvoller Krieg losgebrochen); unser Haus zu Baroli ist verlassen worden, die Brüder halten sich jetzt in der Stadt auf. Die anderen Häuser, von denen wir sonst Hilfe erhielten, sind auf das Aeußerste reducirt. Seitdem Ihr von (unserem) Lande zurückgegangen seid, haben wir aus dem Königreich Sizilien nichts mehr erhalten. Schon seit einem Jahre mußten wir Getreide, Wein, Gerste, Fleisch, Käse und was wir sonst bedürfen, für unsere sämmtlichen Häuser und Schlösser kaufen, die alle ohne Ausnahme uns zu einer solchen Ausgabe nöthigten. Wenn wir jetzt nicht von den abendländischen Häusern Geld erhalten, so stehen wir gänzlich ohne Mittel da, denn es ist schon lange, daß wir zur Bestreitung unserer Ausgaben etwas empfangen haben. Wißt, daß wir auch in schweren Schulden stehen. Wir erwarten deshalb Eure Hilfe und die der anderen guten Brüder, ermahnen Euch auch bei der Liebe zu Gott und zu uns, daß Ihr nach Kräften uns bei dem nächsten Frühjahrspassagium unter die Arme greift. Lebt wohl.